Freitag, 26. Januar 2024

Die falsche Brille auf

Als ich relativ früh schon aufwachte und nach unten ging, hatte der Prinz vor dem Gehen das Kaminfeuer angeschürt und die Kaffeemaschine angelassen. Es war ungemein still und friedlich. Ich machte mir einen Kaffee und setzte mich mit meinem Buch vors Feuer. Diese Morgenstunde war die schönste des ganzen Tages, und nicht, weil der Rest schlecht gewesen wäre, sondern weil ich sie so sehr genossen habe. 

Ich hatte für den Tag viel vor und das blockierte mich erstmal. Los ging es schon damit, dass ich Yoga machen wollte und mir überlegte, in dieser Zeit den Putzroboter durch die restliche Wohnung laufen zu lassen. Dafür wollte ich ihn vorher reinigen und nahm ihm den Filter und die Bürsten aus dem Bauch. Stellte dabei fest, dass er eine richtige Grundreinigung gebrauchen konnte, und außerdem die Bürste mal getauscht werden müsste. Machte die Grundreinigung, danach war er dann nass und ich konnte ihn nicht laufen lassen. Aber zumindest eine Ladung Wäsche in die Maschine werfen… ach so, dafür erst die trockene Wäsche abräumen, schmutzige zusammensammeln, durchsortieren, nun, das Spiel kennt wahrscheinlich jede. Es wurde später als gedacht, bis ich mit der Yoga-Einheit anfing.

Ich hatte unbewusst wohl noch den Kommentar der A. im Kopf bei der Auswahl des Videos ("Bauchmuskeltraining ist der beste Ausgleich für Rückenmuskelkater"), das war nämlich relativ lang und relativ anstrengend und ich kam ordentlich ins Schwitzen.

Bei der Stadtrunde danach ging ich unter anderem beim Arzt vorbei und ließ mich über die neuen Modalitäten der Rezeptbestellung aufklären. Die Praxis ist total überlastet, telefonisch komme ich nie durch, immer wieder erklärt mir eine (wechselnde) Mitarbeiterin alternative Wege per Mail oder Online-Formular, die funktionieren eigentlich nie, und genauso regelmäßig erklärt mir beim Abholen oder beim Termin eine andere Mitarbeiterin, dass der von mir gewählte Weg gar nicht bearbeitet wird, wer mir das den gesagt habe, und erklärt mir einen neuen, der dann auch nicht funktioniert. Ich nehm's ihnen nicht übel, sie sind wirklich alle am Anschlag und ich habe mir die Praxis auch genau aus dem Grund ausgesucht, dass sie auf meinen üblichen Laufwegen liegt und ich sowieso immer mal wieder dran vorbeikomme: Wenn etwas dringend ist, gehe ich eben persönlich hin. Aber lustig ist es schon. (Von außen. Für die Mitarbeiterinnen ist es wahrscheinlich nicht lustig.) Und ich habe zum zweiten Mal überhaupt ein Rezept ganz ohne physischen Beleg als e-Rezept direkt auf die Karte erhalten und finde diese Digitalisierung toll.

Mein Kopf rotierte immer noch, weil ich so viele Dinge zu erledigen hatte (bzw.: wollte). Ich wusste einfach nicht, wo anfangen und war froh, dass der Prinz mir eine Prio-Liste schrieb. Manchmal ist der Blick von außen sehr hilfreich. Klavier üben war Prio, weil ich abends Quintett-Termin hatte. Erwerbsarbeiten war Prio, weil ich es vor dem Wochenende abhaken wollte. Dokumente aus einer Onlinebank laden war Prio, weil ich die für den nächsten Tag brauchte und sie demnächst gelöscht werden. So hangelte ich mich von einem zum anderen und konnte tatsächlich die dringendsten Aufgaben abhaken. 

Fiel mir sogar leichter, als dann die Entscheidung zu treffen, wie ich zum Quintett-Termin in die 18 km entfernte Stadt kommen sollte. Ich überlegte ungefähr eine Million Stunden, ob ich trotz regentrüben Wetters mit dem Gravelbike Bolle fahren sollte (ich hatte große Lust auf die Strecke am Kanal entlang) oder doch mit der S-Bahn, entschied mich irgendwann für die S-Bahn, weil es nicht aufhörte zu regnen. Dann stellte ich fest, dass heute mal wieder Bahnstreik ist und keine einigermaßen passende Ersatz-S-Bahn fuhr. Doch wieder umgeschwenkt zum Bolle - aber das Wetter! -, bis der Prinz ein Machtwort sprach und für mich entschied, dass ich mit dem Van Norbert fahren würde, Autovermeidungs-Grundsätze hin oder her. Es war auch wirklich extrem unangenehm draußen, mit böigem Wind, klatschnass und schwarzen Wolken am dunklen Himmel. 

Alles in allem ein sehr fremdbestimmter Tag also, worüber ich in meiner aufgescheuchtes-Huhn-Haltung sehr dankbar war. Es war dann auch gut, mal wieder den Van Norbert zu fahren, denn ich merke, dass mir die Routine dabei schon abhanden kommt. Auch wenn ich möglichst unabhängig von einem eigenen Auto sein will: Fahren können will ich's trotzdem.

Beim Quintett-Termin haben wir einen neuen Rekord aufgestellt, nämlich erst zwei Stunden nach der vereinbarten Uhrzeit zu musizieren begonnen. Es gab aber auch viel gutes Essen und viel zu erzählen, und das, obwohl sich die anderen vier erst drei Wochen zuvor schon zu einem Quartett getroffen hatten. Ich bin immer wieder froh darüber, dass neben mir noch eine weitere Cellistin/Pianistin im Quintett ist und wir sowohl zu viert wie zu fünft eine Kammermusik-Formation bilden können, das nimmt mir den Druck, für alle Termine verfügbar zu sein. Ist schon eine besonders gute Situation, die für die kleinen Streicher:innen nicht gilt.

Beim Klavierüben war ich in den Tagen vor dem Termin teilweise durch mein entzündetes Auge eingeschränkt gewesen, na ja, eigentlich konnte ich diese Entschuldigung nur für genau einen Tag ins Feld führen, an den anderen hatte ich schlicht keine Lust oder Zeit gehabt. Es lief aber auch in den letzten Tagen vor dem Termin nicht so gut am Klavier, warum auch immer: Ich konnte gerade nicht so gut umsetzen, was ich eigentlich schon spielen kann, die Finger liefen unkoordinierter als sonst. Leider auch dann heute, als es drauf ankam - wiewohl ich laut Rückmeldung auch ein deutlich schnelleres Tempo angeschlagen hatte als noch beim letzten Mal und damit auch mit einiger Trickserei bis zum Stückende durchkam. Erst nach dem Proben bemerkte ich, dass ich die falsche Brille aufgehabt hatte, nämlich die Seh- statt die Lesebrille. Das ärgerte mich zutiefst, denn das hat ganz sicher einen erheblichen Teil dazu beigetragen, dass ich einige Stellen nur überhudeln konnte. Andererseits bedeutet es aber auch, dass ich die Stücke inzwischen ziemlich gut kenne, denn vom Blatt kann ich mit der Sehbrille überhaupt nicht spielen.

Und ich war müde nach dieser Leistung! Erst gegen Mitternacht kam ich wieder zu Hause an, manövrierte den Van Norbert erfolgreich durch die enge Hofeinfahrt (reinfahren ist völlig unproblematisch, nur das Rausfahren bleibt heikel) und hatte dann doch ziemlich viel erledigt an diesem Tag.

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