Montag, 15. Januar 2024

Das Bomberchen Bolle

Heute ist es wieder passiert. Ich war nach Morgenkaffee und Yoga viel zu zeitig dran und las ein paar Seiten in meinem Buch, um Zeit zu schinden, und plötzlich war es zu spät. (Im Spanischen gibt es dafür den Ausdruck "en un plis-plas", der mir im Deutschen sehr fehlt. Wenn die Zeit so an einer vorbeifliegt, dass es fast surrt.) Es wurde dann noch ein wenig später, bis ich loskam, denn heute fuhr ich ja zum ersten Mal mit dem neuen Gravelbike zur Arbeit und das hat Pedale, die vornehmlich für Klick-Schuhe gedacht sind. Also zog ich die Klicker an und legte mich beim ersten Schritt auf den verschneiten Hof fast der Länge nach hin - die Klicker fühlten sich auf Schnee an wie Skier. Unmöglich, damit sicher in die Arbeit zu fahren. Ich musste nochmal hoch in den fünften Stock, um feste Schuhe anzuziehen; wie gut, dass die Pedale sich auch damit ziemlich gut fahren lassen.
 
Dass ich noch einen monströsen Rosenkohlstrunk für den Biomüll und den Papiermüll mit dabei hatte, tat sein Übriges zur Verzögerung. Aber dann: Auf ins Abenteuer!
Ein besseres Wetter hätte ich mir für die Jungfernfahrt für das Gravelbike nicht wünschen können. Mit dem Tourenrad wäre ich auf den verschneiten Straßen ganz schön ins Schlingern gekommen, aber mit den dicken Reifen probierte ich erst etwas vorsichtiger die Griffigkeit aus und nahm dann aber, als ich Vertrauen gefasst hatte, den ungeräumten Fahrradweg am Fluss entlang. Das konnte ich bei solchem Wetter heute zum ersten Mal, und den Spuren war anzusehen, dass erst ein einziges Fahrrad vor mir diesen Weg gewagt hatte. Das Rad schlug sich hervorragend, ich bin stolz wie Bolle auf mein neues Bomberchen, und so hat es sich seinen Namen erfahren: Bolle. 
Uff, in der Erwerbsarbeit war es anstrengend. Es fiel mir sehr schwer, mich zu konzentrieren, und das ärgerte mich. Gegen Ende des Arbeitstages musste ich mich dann auch noch beeilen, denn mein Bolle hat noch keine Lichter und ich wollte bei Tageslicht heimfahren - gar nicht so einfach, wenn es bereits um fünf Uhr dunkel wird und ich noch beim Baumarkt vorbeifahren wollte.
 
Dort kaufte ich endlich, endlich Feueranzünder, denn ohne geht das mit dem Feuer gar nicht, oder nur unter großen Kunststücken. Jetzt wird es wieder regelmäßiger Feuer geben. Thematisch passend erstand ich auch einen 2L-Feuerlöscher, erstens wollten wir schon lange einen in der Wohnung deponieren, zweitens gab gerade gestern die Prinzenmutter eine Geschichte zum besten, wie sie fast verbrannt wäre ohne Feuerlöscher, da wird einer ganz anders bei dem Gedanken. Es hätte auch 1L-Feuerlöscher gegeben, aber da nahm ich lieber eine Nummer größer. Ich lasse zwar selten was anbrennen, aber wenn, dann gerne richtig.

Gerade noch bei Tageslicht schaffte ich es nach Hause. Ich war immer noch ziemlich müde, wollte aber einen Teil Trainingsvorbereitung schaffen und raffte mich dazu nach dem Essen auf. Glücklicherweise meldete sich dann die Nachbars-S. spontan für einen Besuch an, den wir vor dem Kaminfeuer verbrachten. Wie zwei so Western-Helden, die minutenlang nichts sagen, dann knackt das Feuer, der eine sagt: "Es knackt", harmonisches Schweigen und dann der andere "Ja". So war das.

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Gelesen:

Eva Baltasar: Tres cuerpos salvajes. Permafrost - Boulder - Mamut. Das Buch habe ich bei einem meiner Streifzüge in Madrid durch die Buchhandlungen entdeckt und musste es kaufen. Erstens geht's im Titel um Bergwelten und Klettern, zweitens fand ich beim Reinlesen gleich die Sprache sehr interessant und herausfordernd, und dann ist die Autorin auch noch mein Jahrgang.
Das Buch ist eine Sammlung von drei eigenständigen Geschichten. Alle erzählen aus der Sicht einer jungen lesbischen Frau. 
"Permafrost" erzählt die Geschichte einer Entfremdung von der eigenen Familie, die Erzählerin hat immer wieder theoretische Suizid-Sehnsucht und muss sich mit der Schwangerschaft ihrer Schwester und der Geburt ihrer Nichte auseinandersetzen.
In "Boulder" verliebt sich eine harsche und unstete Frau in eine Isländerin, gibt ihr Leben auf einem Fischkutter für sie auf und zieht mit ihr nach Island. Die Isländerin wünscht sich ein Kind, die Erzählerin fühlt sich nicht zur Mutter geboren.
"Mamut" ist die Geschichte einer Studentin, die aus Barcelona in ein einsames Bergdorf zieht und sich dort in einem rudimentären Haus zur Selbstversorgerin macht und von allen anderen unabhängig wird. 
 
Durch alle drei Geschichten zieht sich das Thema "eigenes Kind", weniger als Wunsch denn als - ja, was? Bedrohung, Schicksal, jedenfalls als ein Thema, mit dem die Erzählerinnen sich auseinandersetzen müssen. Die Sprache ist gewaltig, hart, manchmal sehr explizit. Dass die Erzählerinnen lesbisch sind, ist gelebte Normalität und wird nicht weiter thematisiert. Das fand ich erfrischend. Die erste und dritte Geschichte gefielen mir besser als die mittlere, weil sie extreme Charaktere beschreiben, die so sehr in ihrer eigenen Welt leben, dass die Situationen fast fantastisch anmuten. Insgesamt hat mich das Buch gefesselt, es ist eher was für etappenweises Lesen mit Zeit dazwischen zum Nachdenken.
 

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