Mittwoch, 1. November 2023

Blutegelbehandlung

Weil der Prinz sich beim Bouldern den Rücken verrissen hat, schlief ich heute Nacht in einem anderen Zimmer als er, und so ein Bett alleine ist zapfig kalt zur jetzigen Jahreszeit. Es hat Nachteile, allein zu schlafen (nämlich: der Prinz ist nicht da), aber auch Vorteile: Wenn ich, wie jeden Morgen seit Ferienbeginn, viel zu früh aufwache, ist der Prinz nicht da und ich kann Licht anmachen und lesen, ohne ihn zu stören. 

Jetzt sind wir also beide versehrt. Ich immerhin bekam heute von Schwester 1 des Prinzen ein Heilungsangebot für meine Bizepszerrung: Blutegel! Sie kam mit ihren Söhnen zum Frühstück, und über Gesprächen zu Schule, Pferde und Malaisen erzählte sie, dass sie ihr Pferd kürzlich mit Blutegeln behandelt und noch einen übrig habe. Hoffnungsvoll bot sie mir eine Behandlung an - kann ja nichts schaden, dachte ich mir, ging auf den Deal ein und fuhr mit zu ihr nach Hause. 

Dort begannen wir erstmal mit den ersten Schritten für das Bohnenpüree à la Ottolenghi, das wir gemeinsam zu kochen vereinbart hatten. Während die Bohnen auf dem Herd kochten, machten wir eine Runde Skigymnastik. Dann setzten wir das Knoblauchöl an, und während es auf dem Herd brutzelte, machten wir eine Runde Bauch Beine Po. Dann mixten wir das Alioli an und machten - ohne Zwangspause - eine Runde Yoga, hatten aber nach den ersten beiden Asanas keine Lust mehr und brachten das Bohnenpüree zu Ende. (Die Asanas waren Childs Pose und Katze-Kuh gewesen. Man ahnt, dass die Gymnastik vorher anstrengend war.) Und weil ich ab dann meinen Arm ja nicht mehr brauchte, holte sie ihren Egel aus dem Keller.

Der wohnte bis dato in einem Marmeladenglas voll Wasser und musste durch Schütteln erst mal geweckt werden, er war nämlich halb ohnmächtig vor Hunger. Schwester 1 füllte ihn vom Marmeladen- ins Schnapsglas und dann wurde es ernst: Das Glas wurde mir auf den Arm gepropft, der Egel kapierte schnell, was Sache war, schnupperte kurz herum und biss sich fest. Das zwickte kurz, dann nicht mehr, dann immer mal wieder ein bisschen, während der Egel begann sich vollzusaugen. Er wurde langsam voller und größer, und jedes Mal, wenn er einen Schluck nahm, konnte man wie bei einer Schlange sehen, wie das Blut mit Kontraktionen durch den Egelkörper transportiert wurde. Schwester 1 fands faszinierend, ich auch, der Prinz und seine Eltern, die jetzt nachkamen, fanden den Egel eher ein Ekel. 

Wir hatten damit gerechnet, dass der Egel nach vielleicht 20 Minuten abfallen würde - das ist das Zeichen, dass er voll und das Heilungswerk vollbracht ist -, aber erst als er unerschütterlich am Arm hängenblieb, recherchierten wir nochmal und, aha, bei Menschen bleibt der gern mal 90 Minuten dran. Blieb er dann auch, während mir der Arm, den ich nicht in einen Pulliärmel stecken konnte, kalt und kälter wurde und ich immer dringender aufs Klo musste. Immerhin gab es währenddessen zu essen, nämlich das Bohnenpüree, das unterschiedlich gut ankam, immerhin überall besser als erwartet, aber die Erwartung war teilweise auch "Bäh, sieht das widerlich aus" gewesen.  Dem Prinzen und mir schmeckte es gewohnt gut, Ottolenghi ist einfach 100% unser Geschmack. Worin wir alle einig waren: Es war viiiiiel Knoblauch drin.
Als der Egel dann abfiel, begann die Bisswunde zu bluten (12 Stunden Nachbluten ist wohl normal durch die Blutgerinnungshemmer, die der Egel beim Saugen absondert). Sie blutete, während der Prinz, seine Eltern und ich im sehr guten asiatischen Restaurant essen waren, ich Algensalat, weil ich den nur außer Haus essen kann, ohne dass der Prinz neben mir Würgegeräusche macht, und sie blutete weiter, als wir im Kino im winzigen Saal mit winziger Leinwand, aber immerhin in Pärchensitzen in der letzten Reihe, einen Film schauten. "Wochenendrebellen" hieß der, und es ging um:
- eine Vater-Sohn-Geschichte, die hart am Rande des Kitsch entlangschrammt (Prinz)
- autistische Kinder, die ihre Betreuungspersonen an alle denkbaren Grenzen bringen (Prinzenmutter)
- eine Mutter, die durch den Pappa ex machina aus ihrer angeblich selbst verschuldeten Überlastung (dabei ist es das System, Anm. d. Verf.) errettet wird, und weil ers so locker nimmt, läuft auf einmal alles (na, wer hatte wohl diese Sicht)
- Halt eine schöne Geschichte (Prinzenvater)

Tja, und seit mittlerweile sechs Stunden läuft das Blut aus dem Bissloch, das mir der Egel eingebissen hat, hat bereits einen Tupfer samt elastischer Binde, mein Kleid und meine Wolljacke durchblutet und wurde vor dem Schlafengehen neu verbunden und jetzt hoffen alle, dass Nachthemd und Bettwäsche verschont bleiben. Morgen soll ich Schwester 1 berichten, ob sich die Bizepsschmerzen gebessert haben, und der zugehörige Schwager 1 fürchtet sich schon, denn sie ist jetzt voll im Egelfieber und er ist als Nächster mit der Behandlung dran, ob er will oder nicht.

Und das war die Geschichte vom Egel.

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