Dann las ich das spannende Buch aus und direkt im Anschluss überkam mich eine milde Verzweiflungswelle ob der Sinnlosigkeit von allem. Den Haushalt machen, nur damit am nächsten Tag wieder Chaos und Schmutz herrscht, mich zum Sport aufraffen, nur um müde eine Trainingseinheit abzuspulen oder, schlimmer noch, mich zu verletzen. Sich mit jeder Entscheidung quälen, ob sie nachhaltig und ökologisch genug ist, obwohl eh alles den Bach runtergeht und meine individuelle Lebensweise am Weltuntergang nichts ändern wird. Ja, vielleicht hatte das Buch damit zu tun (mehr dazu unten), vielleicht auch, dass ich schon wieder so unendlich müde bin und das diese Woche schon zum dritten Mal.
Seufzend machte ich mich trotz der schwarzen Wolken in meinem Kopf auf den Weg auf eine Stadtrunde, Bücherei, Drogerie, Socken kaufen, Arzt, sowas, die Innenstadt ist ja immer ein guter Ort, um schlechte Laune auszuleben, weil es immer genug Menschen gibt, die am falschen Ort im Weg herumstehen, die falschen Dinge sagen, tun oder falsch aussehen und man kann wunderbar mit bösen Blicken um sich werfen. Dumm nur, wenn dann am Straßenrand ein netter Bekannter steht, der lächelnd grüßt, und man vor der Haustür die S. trifft, die mich und J. spontan zum Abendessen einlud, wie soll man denn da bitte Weltuntergangsstimmung beibehalten.
Immerhin nahm ich mir danach die Zeit für eines der Telefonate, die schon länger auf meiner Liste standen, und zwar das wichtigste. Prioritäten setzen ist entscheidend. Im Verlauf des Gesprächs bekam ich eine interessante Frage gestellt, nämlich ob ich genug Proteine esse zur Zeit (Antwort: nein - vielleicht deswegen die Schlappheit) und später noch eine andere, nämlich ob ich in den letzten Tage ein unübliches Medikament genommen habe (Antwort: ja - vielleicht deswegen die unerklärlichen Magenschmerzen seit Anfang der Woche). Für mich waren beide augenöffnend und ich werde das mal beobachten. Bevor ich zum Klettern aufbrach, sammelte ich von den schönen blauen Unkraut-Blumen auf dem Balkon noch die Samenkapseln ein, bevor es zu spät wird, denn ab morgen soll es herbstlich nass und kalt werden.
Die S. und ich waren uns in der Kletterhalle einig, dass wir beide lieber rausgegangen wären bei dem herrlichen Wetter, genauso einig waren wir uns unwissentlich am Vormittag gewesen, uns nicht mit diesem Vorschlag und daraus folgender zusätzlicher Umorganisation der geplanten Pläne zu belästigen, hätten wir doch bloß miteinander geredet, aber gut, so saßen wir zumindest noch ein Stündchen im Café und genossen das Draußen. Im Schatten, denn es ist so heiß, dass ein Sonnenplatz kaum zu ertragen ist. Bei der Gelegenheit machten wir gleich Buchclub, und die S. hatte aus dem Buch ähnliche Gedanken mitgenommen wie ich, teilweise hatten sie aber bei ihr eine gegensätzliche Reaktion ausgelöst, das war überraschend. Wir kamen von diesem Buch auf hunderte andere, die interessant zu lesen wären, es hört einfach nicht auf.
In der Kletterhalle waren wir die einzige Seilschaft - kein Wunder, bei DEM Wetter - und waren schon nach der Aufwärmroute durchgeschwitzt. Es lief nicht so richtig gut bei mir, aber wenn ich mir so durchlese, was ich zum bisherigen Tag geschrieben habe, ist das eigentlich auch kein Wunder. Die S. sicherte mich jedenfalls mit einer Engelsgeduld. Und fürs Protokoll: Pro Route 2,50 € bezahlt. Erst beim Heimkommen stellte ich dann fest, dass ich mein T-Shirt verkehrt herum angezogen hatte und mit dem Elch auf dem Rücken statt auf der Brust durch die ganze Stadt heimgeradelt war, aber auch das passte ja zum Tag. Übrigens ein Freitag, der 13.
In der Stunde zwischen Heimkommen und Abendverabredung hatte ich die Wahl zwischen Herumgranteln und Schlafen. Ich kam mir sehr weise vor, als ich mich für das Bett entschied. Nach der Stunde fiel es mir allerdings schwer, wieder so weit aufzuwachen, bis ich mich zur S. in den 2. Stock bewegen konnte. Dort war auch Nachmittagsschlaf gehalten worden, und während der J. sich fertig machte und mein J. in der S-Bahn feststeckte, kochten die S. und ich eine köstliche Tom Kha Jay-Suppe, die genau dann fertig wurde, als J. endlich zu uns stieß. Wir verbrachten einen sehr angenehmen Abend bei den Nachbars und ihren schnuckeligen Katzen, verzogen uns aber trotzdem relativ früh wieder nach oben, denn der Freitag lastet einfach auf allen Schultern. Meine diffuse Mischung aus Hoffnungslosigkeit, schlechter Laune und Belustigung über mich selbst, die mich den Tag über begleitet hatte, weicht allmählich und ich hoffe, dass sie nach einer Nacht Schlaf ganz vorbei ist.
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Gelesen:
T.C. Boyle: Blue skies. Die Geschichte spielt entweder in der Gegenwart oder in der sehr nahen Zukunft, was das ganze Buch umso unheimlicher macht. Denn die Welt ist an ihrem klimatischen Kipppunkt, und die drei Hauptpersonen Cat, Cooper und Ottilie haben jede/r für sich mit den katastrophalen Wetterbedingungen zu kämpfen. Während Cat in ihrem Strandhaus in Florida nach und nach vom steigenden Meeresspiegel und unaufhörlichem Regen bedroht wird, breitet sich in Kalifornien, wo Cooper und Ottilie leben, eine immer schlimmere Dürre mit ihren Folgen - extremer Wassermangel und verheerende Brände - aus. Im Grunde versuchen alle, sich in ihrem Leben so gut wie möglich einzurichten und eben stoisch mit den Gegebenheiten fertigzuwerden, statt sich damit auseinanderzusetzen, was gerade mit ihrer Welt passiert. Cat und Cooper gelingt das mehr schlecht als recht, sie reiten sich immer tiefer in eigenverschuldete Probleme und machen dafür alles und jeden, nur nicht sich selbst, verantwortlich. Das Ganze ist so lakonisch geschrieben und so verdammt nahe an der Realität, dass die fiktive und meine reale Situation manchmal zu verschwimmen begann. Kein Wunder, wenn einen das mit Weltuntergangsstimmung zurücklässt, bei Boyle geht die Welt eben gerade unter.
Ich habe es sehr genossen, mal wieder ein gutes Buch auf Englisch zu lesen. Es macht mir so viel Spaß, englische und spanische Bücher im Original zu lesen, ich sollte das viel öfter machen.
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