Das war so ein Tag, an dem ich nur dreimal in eine Route eingestiegen bin, aber trotzdem ganz schön platt bin hinterher. Und megazufrieden. Denn die Route war schwer, aber total interessant und ein echtes Puzzle, bis ich alle Griffe, Tritte und die richtige Körperhaltung rausgefunden hatte.
Vielleicht ist dieses Klettern zu meinem Lieblingssport geworden, weil es so spannend und emotional ist. Generell bin ich sehr gerne ausgeglichen - die meiste Zeit bin ich im Grunde zufrieden, ich vermisse keine extremen Hochphasen und erst recht keine traurigen. Also so wie der Laufsport: Man bleibt halt dran, mit der Zeit kommt man in den Flow und der beste Moment ist der, wenn man alles vergisst und einfach nur noch glücklich vor sich hin läuft.
Das Klettern ist ganz anders. Jede neue Tour ist eine Herausforderung, die erstmal die Schmetterlinge im Bauch weckt. Ich kenne es inzwischen, dass ich nach der Entscheidung, in eine unbekannte Tour einzusteigen, unglaublich müde werde. Das ist die Art meines Körpers, seine Angst auszudrücken: er will mich davon zu überzeugen, dass heute wirklich kein guter Tag für so eine mentale und körperliche Anstrengung ist. Mittlerweile betrachte ich das ja als ein Zeichen dafür, dass ich kletterbereit bin, denn beim ersten Tritt an die Wand ist die Müdigkeit wie weggeblasen und der Kopf absolut fokussiert. Und dann das Adrenalin, wenn man über den Haken steigt und den einen entscheidenden Zug aus der Komfortzone raus macht - emotionale Achterbahn. Beim Stürzen sowieso. Und die Euphorie, wenn man nach einer herausfordernden Tour am Umlenker ankommt! Allumfassend.
So gibt mir dieser Sport die Spitzen, die ich bei aller Ausgeglichenheit trotzdem gerne spüre. Die Momente, die ich aus jüngeren Zeiten, so ungefähr im Studierendenalter, am meisten vermisse, sind diejenigen, in denen ich so ausgelassen und überdreht war, dass ich das Gefühl hatte zu platzen vor lauter Emotion. Sich so in eine Situation fallenzulassen, dass man nur noch dieses eine überwältigende Gefühl spürt - das geht in der Dimension nur als junger Mensch. Beim Klettern muss man so im Moment sein, dass auch da wenig Raum für andere Gedanken und Gefühle bleibt.
Der Morgen ließ sich erst einmal kalt an, aber sobald wir aus dem Van Norbert gekrochen waren und die Sonne hinter den Bäumen hervorkam, brach ein strahlend schöner Tag an. Es wird im Altmühltal merklich Herbst: Die ersten Bäume färben sich, morgens liegt Tau auf dem Gras und zweimal flog eine kreischende Gänseschar über uns hinweg, wohl auf ihrem Weg in den Süden. (Was machen Gänse? Kreischen trifft es ja nicht ganz - gackern erst recht nicht. Schnattern?). Durch eine der gemähten Wiesen strich in der tiefstehenden Nachmittagssonne ein Tiger auf der Jagd nach Mäusen, und auch das Bild kam mir aus irgendeinem Grund sehr herbstlich vor.
Wir hatten die Fahrräder mitgenommen, denn zu den Wänden jenseits der Altmühl muss man einem Schotterweg folgen, der sich zu Fuß mit den schweren Kletterrucksäcken elendiglich zieht. Mit den Rädern war es ein kurzer und vergnüglicher Weg.
Wie schon beim letzten Mal war an der Schellneckwand zum Glück kaum was los. Vor zehn Tagen waren J. und ich ganz alleine gewesen, heute war eine andere Seilschaft am Fels, die aber an einem anderen Sektor kletterte und uns komplett ignorierte. Den Rentnerinnenweg habe ich mir selbst hochgehängt, dann ausgebouldert
und dann einmal im Toprope fast durchgeklettert. Ich hatte ein wenig Sorge, ob mein rechter Bizepsmuskel mitmachen würde, denn den habe ich mir entweder beim Bouldern am Freitag oder an der Veldener Wand am Sonntag ein wenig verrissen und er schmerzt unangenehm. Ich war mir fast sicher, dass ich ihn nicht vollständig belasten kann, aber beim Klettern habe ich ihn überhaupt nicht gespürt und die Schmerzen sind dadurch sogar weniger geworden. Sobald ich dann nach diesem Klettertag am
späten Nachmittag wieder im Van Norbert saß, fielen mir nach der Anstrengung fast die Augen
zu.
Gerade als wir nach der Rückfahrt zuhause ankamen, brach nach diesem herrlichen Sonnentag ein Gewitter mit starken
Windböen und Regengüssen los, was das Nachhausekommen nochmal
gemütlicher machte. Das war ein wunderschöner Tag, der sich so richtig
nach Urlaub angefühlt hat.
Interessantes Projekt: Schellneckwand, Rentner:innenweg (8)
***
Gelesen:
Elke Heidenreich/Michael Sowa: Erika oder der verborgene Sinn des Lebens. Der Erzählerin Elisabeth mit vielen Spitznamen geht es emotional gerade richtig schlecht, und es kommt ihr sehr gelegen, dass ein ewig verschollener Exfreund sie über Weihnachten zu sich nach Italien einlädt, weil er auch gerade eine Krise hat. Als Geschenk kauft sie ihm im Affekt ein riesiges Plüschschwein, das sie Erika nennt. Erika verändert ab da alles für sie, weil alle Menschen auf sie mit Entzücken reagieren. Das Schwein öffnet ihr die Türen zu fremden Menschen und gibt ihrem Leben auf einmal wieder einen Sinn. Eigentlich eine Allegorie dafür, dass das Umfeld immer so reagiert, wie man selbst auf es zugeht. Ich fand die kleine Geschichte herzerwärmend, sie ist angenehm lakonisch erzählt und hat auch ihre Ecken und Kanten, die sie nicht allzu süßlich werden lassen und die der Ich-Erzählerin verschiedene, auch nicht ganz so geradlienig-sympathische, Facetten geben.
Benjamin Myers: Offene See. Das Buch habe ich nicht fertig gelesen. Bis auf ungefähr Seite 80, zu der ich kam, ist nicht viel passiert. Der jugendliche Erzähler Robert beschließt kurz nach dem zweiten Weltkrieg, eine Wanderreise zu machen, bevor er anfangen muss, im Bergbau zu arbeiten. Bald strandet er bei einer älteren, alleinstehenden Frau mit Hund, und ab da unterhalten sich die beiden hauptsächlich über das Leben. Robert ist naiv und unbeholfen, er hat kaum Ziele oder Träume. Die Frau, Dulcie, scheint dagegen ein langes, erfülltes und abenteuerliches Leben hinter sich zu haben und coacht ihn. Ich habe den Schluss gelesen und weiß daher, dass noch eine Seitengeschichte kommen muss, die eine tiefsitzende Tragödie in Dulcies Leben erzählt, aber mich hat die Geschichte einfach nicht genug gepackt, um weiterzulesen. Coming-of-age-Romane sind echt nicht mein Genre, sie fesseln mich selten; tatsächlich könnte ich mich an keinen einzigen erinnern, der mir positiv im Gedächtnis geblieben ist. Außer den Leiden des jungen Werther, aber den habe ich (als Schullektüre übrigens, die mich so mitgerissen hat, dass ich das Reclam-Heft gleich mehrmals hintereinander verschlungen habe) gelesen, als ich selbst gerade of age kam. Wäre interessant zu sehen, ob mir der jetzt immer noch gefallen würde.
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