Wir standen alle etwas früher auf als gestern, naja, also außer mir, ich war ja gestern um halb sechs aufgestanden und schlief heute durch bis kurz vor acht. Beim Frühstück sah ich aus dem Fenster zwei der allgegenwärtigen Katzen, die sich ordentlich kloppten. Katzen sind ein Ding in Venedig. Nach dem Frühstück wollte die M.eistgeliebte Nichte Dehnübungen machen, ich freute mich und legte mich neben sie zum Yoga-Machen, die Nichte zog um in ein anderes Zimmer, ich überlegte kurz hinterherzuziehen, ließ es dann aber. Auf Nachfrage gab die Nichte kund, ich habe sie nicht gestört.
Heute war mein Tourismus-Hauptwunsch für Venedig dran: Palazzi gucken. Zuerst den der Peggy Guggenheim, der ein überwältigend schönes Haus ist, mit Terrasse am Kanal und grünem Innenhof. Da ließ es sich mit Sicherheit gut leben. Zu wissen, dass die Kunstwerke, die schon zu Frau Guggenheims Lebzeiten dort hingen, damals von Museen als Schenkung abgelehnt wurden, weil "nicht für die Kunstgeschichte relevant" und jetzt Millionen wert sind, machte mich gleichzeitig fassungslos und schadenfroh. Kunst liegt eben immer im Auge der Betrachterin - Chagall, Picasso, Braque, Ernst, Magritte...
Der nächste Palazzo befand sich nur wenig weiter weg, aber weit genug, um unterwegs erst auf eine Stärkung einzukehren und ein paar belegte Brötchen mit unaussprechlichem Namen (Cicchetti) zu verspeisen. Großer Vorteil der Cicchetti: Die Auswahl ist immer groß, so dass es auch immer Vegetarisches darunter gibt. Und dann noch in ein Kleidungsgeschäft, vor dem die N. bereits mehrmals stehengeblieben war. Fündig wurde jedoch die Nichte. Ich war den ganzen Tag auf der Suche nach einem weiten, baumwollenen oder leinenen Flatterkleidchen, nichts wünsche ich mir hier gerade mehr, aber wurde nicht fündig.
So, dann doch zweiter Palazzo. Tolles Treppenhaus, interessante Ausstellung mit kolonialem Hintergrund (ausstellendes Land: Portugal; wer hätte das Thema geahnt...). Die N. ging uns verloren und fand sich zum Glück rechtzeitig wieder, um uns im sehr hübschen zugehörigen Café auf einen Cappuccino freddo niederzulassen und so auf die Nichte zu warten, die ebenfalls verloren gegangen war. Als die ebenfalls einen Cappuccino freddo bestellte, bezeichnete der Kellner diesen als das "Familienlaster", was lustig war, weil wir so viel gemeinsame Gene ja gar nicht haben, aber ich vergesse immer wieder, dass das von außen natürlich nicht sichtbar ist und bin verwundert, wenn die Nichte ganz selbstverständlich für meine Tochter gehalten wird. Mit der N. war ich schon öfter unterwegs und bin es gewohnt, dass sie die "Mamma" ist und ich in Indien überall als ihr "Baby" bezeichnet wurde, auch wenn ich schon damals über 30 Jahre alt war.
Weiter ging es zum Palazzo Fortuny, und der hat sich mal wirklich gelohnt. Google hatte Alarm geschlagen wegen "voller als gewöhnlich", dann muss er gewöhnlich aber schon sehr, sehr leer sein, denn es war kaum jemand darin und wir hatten alle Zeit und Platz der Welt, die überwältigenden Räumlichkeiten und die Schatzkammer Fortunys zu bewundern. Er übrigens aus Spanien, seine Frau aus Fontainebleau, da hatte ich doch gleich Bezug zu beiden. Und erst, als wir in den Saal mit den Kleidern kamen - wie schön können Kleider eigentlich sein! In dem Moment war ich umso froher, dass ich im Klamottenladen vorher nichts gekauft hatte, weil ich erst jetzt verstand, dass die ausgefallenen Kleider dort - nur sehr unzureichend - versuchten, Fortuny-Kleider zu imitieren.
Danach waren meine Mitreisenden glücklicherweise für den Vorschlag zu haben, ins Apartment zurückzukehren und dort ein wenig zu ruhen. Die tagelange Hitze und der Tourismus hatten uns alle drei müder gemacht. Wir traten die Rückreise auf einem Vaporetto an (schon jetzt Lieblingsbeschäftigung in Venedig: Bötchen fahren) und machten einen Umweg über eine weitere Bar mit Cicchetti. Eine ganz schnuckelige in "unserem" ruhigen Viertel - apropos: heute wirkte es kurz, als sei Venedig so voll, wie alle sagen, komischerweise aber nur während einer halben Stunde, danach war alles wieder angenehm entspannt -, vor der wir uns mit den Brötchen an die Kanalmauer stellen und die anderen Menschen begucken konnten. Einmal hielt ein Bootstaxi direkt vor uns und zwei wichtige aussehende Männer stiegen aus, inklusive Bodyguard, was ich erst für einen Witz hielt, und holten sich ein Eis in der Eisdiele neben der Cicchetti-Bar. Sie sahen nicht nur wichtig aus, einer sah auch aus wie Kevin Costner, es war nämlich Kevin Costner, aber weil ich ihn nicht erkannt hatte, als er einen Meter neben mir an mir vorbeiging, fragte ich ihn nicht nach einem Selfie mit mir; wahrscheinlich hätte ich es auch nicht getan, hätte ich ihn sofort erkannt. Für die N. und mich war das aufregend, für die Nichte nicht so ("Wer soll das sein? Kenn ich nicht. Wo hat der mitgespielt? Kenn ich nicht."). Den Witz, dass der Star aus "Bodyguard" einen Bodyguard dabeihatte, war an ihr also verloren.
Wir schlenderten an Kevin Costner vorbei zum Apartment zurück und zogen uns ins klimatisierte Zimmer zum Daddeln zurück. Als ich Hunger bekam und mich fertig zu machen begann, dabei auf die Toilette setzte, guckte mich aus der Dusche gegenüber ein - Skorpion an. So schnell bin ich selten wieder aufgesprungen! Ich holte die Nichte für die Fotodokumentation, wie ich den Skorpion in einem Wasserglas fing und in den Kanal vor der Tür des Apartments warf, mental unterstützt von den Mitreisenden. Der Skorpion hatte während der gesamten Aktion seinen Stachel in Angriffsstellung, versank im Kanal jedoch recht zügig, ohne sich an uns zu rächen. Puh...
Zur Beruhigung schlug ich mir abends im Restaurant am Kanal den Bauch voll, so voll, dass als Nachtisch erst ein Eis nach einem Spaziergang über den Zattere wieder hineinpasste. Auch nachts sehr malerisch, dieses Venedig.
Keine Kommentare:
Kommentar veröffentlichen