Es ist wieder der 5. des Monats, und Frau Brüllen fragt: Was machst du eigentlich den ganzen Tag (WMDEDGT)?
Ich mache mir einen Kaffee und die Türen zu, um die Mitreisenden nicht zu stören, und setze mich mit der Tasse aufs Sofa zum Lesen. Leider haben wir gestern nicht daran gedacht, Milch zu kaufen - die könnte knapp werden für Kaffee für drei. Da ich eh schon wach bin, beschließe ich, zum nahegelegenen Supermarkt zu gehen und Milch, Joghurt und Autan einzukaufen. Ich bin die erste Kundin, und einer der Angestellten ist freundlich und herzlich, wie so viele Einheimische hier, was mich immer wieder und immer noch überrascht und erfreut angesichts der Tourismusmassen; der andere ist griesgrämig und wortkarg, wie sich das in der Hochsaison und zu dieser Uhrzeit gehört. Auf dem Rückweg verlaufe ich mich zweimal, weil ich neue Wege ausprobieren möchte - in Venedig führen eben nicht alle Straßen irgendwohin und schon gar nicht dahin, wo ich mir das vorstelle, sondern viele Sträßchen hören einfach unvermittelt auf.
Beim Zurückkommen finde ich die Luft im Apartment schon wieder unerträglich stickig und setze mich mit Buch und Kaffee auf das Mäuerchen im Vorgarten. Der Himmel über mir zieht zu, in der Ferne höre ich leises Donnergrollen und hoffe auf baldigen Regen und damit Abkühlung.
Als die beiden Mitreisenden in die Küche zum Frühstücken kommen, lese ich mein Kapitel zu Ende und geselle mich zu ihnen. Und noch während wir unsere Kaffees (mit Milch!) trinken, bricht ein Gewitter los, so heftig und laut, dass ich einmal fast vom Stuhl falle, als scheinbar direkt neben mir ein Donner loskracht. Als der Regen wieder nachlässt, gehe ich zum Meer, um es mir bei Gewitterwetter anzusehen, die Nichte geht mit. Das Wetter ist fast schon enttäuschend sanft, ein einziger Regenschirm hält die Nieseltropfen ab, das Meer schwappt träge gegen die Mole.
Wir lassen uns Zeit heute bis zum Aufbruch, eine braucht noch eine Frisur, eine muss noch etwas malen, eine ist noch nicht umgezogen. Als wir loskommen, tröpfelt es nur und das Vaporetto legt genau dann an, als wir am Steg ankommen und die allerbesten Plätze sind frei. Überhaupt ist heute viel frei, aber in der Biennale Arsenale ist es voll. Anscheinend hatten mehrere Menschen dieselbe Idee wie wir: bei schlechtem Wetter in die Kunsthalle.
Im ersten Hallenteil kann ich bereits mit einigen Werken etwas anfangen, es sind auch Bilder und keine Videoinstallationen. Die kommen später leider auch noch, meiner Meinung nach ist das ein verfehlter Kunsttrend, denn Videos lassen der Betrachterin sehr wenig Raum für Interpretation und eigene Gedanken und zwingen mich noch dazu, sie mit dem Beginn und dem Ende anzusehen, die von den Künstler*innen beabsichtigt sind; außerdem sind mir die visuellen und akustischen aufgezwungenen Reize viel zu viel. Also schreite ich an der Halle mit den Videos einfach vorbei. Wir haben für heute einen Treffpunkt und einen Zeitpunkt ausgemacht, so dass jede die Ausstellung im eigenen Tempo machen kann.
Ich verstehe noch nicht ganz, wie dieser Teil der Biennale aufgebaut ist - im Gegensatz zum Teil in den Giardini gibt es keine klar getrennten Pavillons nach Ländern. Mir fällt jedoch auf, dass hier viel mehr Bezug zu aktuellen Themen genommen wird - bei dem Motto "Stranieri ovunque" hatte ich in den Giardini einen schalen Beigeschmack mitgenommen, weil die Kunstwerke großteils die lang vergangene Kolonialgeschichte thematisieren, aber keine aktuellen Themen zu Flucht oder der heutige Umgang mit Ausländer*innen und Tourismus. Ein bisschen feige von der Kunst, sich nur damit zu beschäftigen, was sehr leicht als "ist ja alles vorbei" vom Tisch gewischt werden kann. Oder?
Die Nichte und ich bekommen ziemlich gleichzeitig Hunger, und zwar ziemlichen Hunger. Ein Hangry-Crash konnte gerade noch vermieden werden, indem wir im rappelvollen Biennale-Restaurant nach nur kurzer Wartezeit einen Tisch bekommen. Die Nichte bietet mir dann sogar von ihrem Burger an, weil ich mir leider recht kleine (wenn auch sehr wohlschmeckende) Melanzane alla parmiggiana bestellt habe. Das weiß ich sehr zu schätzen.
Zwischendurch positive Nachrichten vom Prinzen über seinen Start zurück ins Arbeitsleben. Die freuen mich und machen mir Hoffnung, dass meiner ebenfalls leicht wird.
Die N., die M.eistgeliebte Nichte und ich verbringen viel Zeit in der Biennale, aber irgendwann ist der Kopf dann voll (die Blase übrigens auch, und die Toilettensituation ist, sagen wir mal, verbesserungswürdig; durch die Biennale schleusen sich jedes zweite Jahr ich-weiß-nicht-wie-viele Menschen, trotzdem wird die Sanitäranlage mit Dixieklos betrieben. Äh?). Genau, als wir Richtung Vaporetto aufbrechen, beginnt es wieder zu regnen, erst nur ein wenig, aber bald ordentlich. Da passt es gut, dass ich eh gerade Appetit auf was Süßes habe und die Nichte eine Pasticceria entdeckt. Die Entscheidung zwischen Tiramisu und typischem lokalen Gebäck wird mir leichtgemacht: Tiramisu gibt's nur zum Mitnehmen. Mit süßem Knabbergebäck sitzen wir den schlimmsten Regen aus, später überstehen wir auch die Fahrt im jetzt zum ersten Mal völlig überfüllten Vaporetto und kommen einigermaßen trocken im Apartment an. Ich denke, dass mir dieses Wetter wirklich lieber ist als die erdrückende Hitze die letzten Tage, ich begrüße es sogar, dass mir zum ersten Mal seit Tagen ein bisschen kalt wird.
Gut, dass wir uns nicht mehr lange aufgehalten haben zwischendurch, denn als wir ankommen, bleibt eh nur noch eine Stunde, bis wir wieder aufbrechen, und es tut uns allen gut, ein wenig herumzusitzen und an die Wand zu schauen. Heute Abend erwartet uns nämlich ein Besuch im Theater Goldoni; das hat die N. mir zum Geburtstag und der M.eistgeliebten Nichte zur Konfirmation geschenkt; und dann ist meine Venedigreise schon wieder vorbei. Leider!
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