Das war ein sehr schöner Abend gewesen gestern. Ich schlief gut und gesättigt ein und wurde heute erst von einem Kaffee am Bett wach, den mir der Prinz unter die Nase hielt. So können Samstage gern beginnen! Draußen nieselte der Regen, es war sehr grau. Genau passendes Wetter für mein Vorhaben heute: Ich hatte erst vor zwei Tagen zufällig über Instagram mitbekommen, dass Patricia Cammarata in Bamberg aus ihrem neuen Buch "Musterbruch" lesen würde. Und da ich mich schon ziemlich geärgert hatte, weil ich ihre Lesung in der großen Stadt verpasst hatte, meldete ich mich spontan an. Und noch am selben Tag sagte die A. spontan zu, dass sie ebenfalls mitkommen würde. Es ist richtig gut, wieder gesund genug für solche Pläne zu sein!
Ich las mein Buch aus, zog mir etwas Warmes an und ging relativ früh los, weil ich noch ein Schokocroissant für die A. und mich für unterwegs kaufen wollte. Als das erledigt war, war ich immer noch 25 Minuten zu früh für den Zug. Gnah! Etwas zu voreilig gewesen. Die einzige sinnvolle Nutzung der Zeit, die mir einfiel, war, Hefe einzukaufen, die wir gestern vergessen hatten. Und selbst das ging schneller als gedacht, weil ich die frische Hefe unvermutet schnell fand - im Stadt-Tegut ist sie neben der Butter eingeordnet, weiß ich das jetzt also auch.
Die A. war schon im Zug, als ich einstieg; wir fanden einen Platz mit Tisch, begannen zu essen, rattenscharfen Ingwertee zu trinken, den sie mitgebracht hatte und uns unsere Sommer zu erzählen und gefühlt waren fünf Minuten vergangen, als uns unsere Station überraschte. Den letzten Becher rattenscharfen und brennend heißen Tee musste ich aus meinem Tässchen exen, sonst hätten wir den Ausstieg nicht rechtzeitig geschafft.
Die Lesung war gut besucht, das freute mich sehr, denn wenn Veranstaltungen spürbar zu wenig Publikum haben, tut mir das immer sehr leid und mein Mitleid mit der Vortragenden lenkt mich dann regelmäßig sogar vom Inhalt ab. Patricia machte das toll, war witzig wie gewohnt, hatte gute Gedanken, über die ich bisher nicht oder nur wenig nachgedacht hatte, und ging das Thema wirklicher Gleichberechtigung in Partnerschaften so an, dass die Partner*innen gemeinsam an einem erstrebenswerten Ziel arbeiten und nicht etwa Frauen gegen Männer. Ich schätze sehr an ihr, dass sie es schafft, die schwierigen Themen wie Mental Load und Ungleichverteilung von Sorgearbeit zu benennen, aber irgendwie trotzdem Mut zu machen. Die A. und ich kauften uns beide ein Buch und gingen optimistisch aus der Lesung, nicht etwa deprimiert, weil wir alleine ja doch nichts ausrichten können.
Diese Lesung schlug wunderbar in die Kerbe unserer Haupt-Gesprächsthemen (wenn es nicht gerade ums Klettern oder anderen Sport geht), und wir spannen den Faden angeregt weiter, während wir eine kleine Runde durch Bamberg drehten. Nebenbei Sorgearbeit erledigend, natürlich: Die A. brauchte noch Schuldinge für ihre Töchter aus der Schreibwarenabteilung, in unmöglichen Farben, aber sie schaffte alles. Wir holten uns für die Rückfahrt einen Falafel, der uns im Zug ganz ausgezeichnet schmecken sollte, freuten uns, dass wir am Bahnhof gerade noch den Zug in die große Stadt erwischten und bemerkten erst am dritten Bahnhof mit sehr ungewohntem Namen, dass der zwar in die richtige Stadt fuhr, aber nicht den 35-Minuten-Weg, sondern die ganze 2,5-Stunden-Schleife über Bayreuth. Mist - einerseits, andererseits war uns die Zeit fürs Reden eh knapp gewesen, und so war es eben Schicksal, dass die A. noch länger mit mir quatschen konnte und ihre Töchter dafür länger als geplant sturmfrei hatten.
Auch ich kam dadurch später als gedacht wieder nach Hause. Noch dazu ziemlich müde, ich legte mich auf das Sofa und döste erstmal eine Stunde weg. Danach guckte ich ein weiteres Modul des Kletterkurses, den mir der Prinz zum Geburtstag geschenkt hatte und, weil ich mich endlich fit genug dafür fühlte, turnte ich eine Einheit Yoga. Die war erwartet anstrengend, aber gut machbar. Und dann fielen mir schon wieder fast die Augen zu. Also heute war ich schon außerordentlich müde (vielleicht doch noch nicht 100% gesund genug für so ein ganz "normales" Tagesprogramm?).
***
Gelesen:
Heinrich Steinfest: Sprung ins Leere. Auf die Empfehlung der N. hin gelesen, und da kann eigentlich kaum etwas schiefgehen. Tat es auch nicht, das Buch hat mir gut gefallen. Protagonistin ist die Museumswärterin Klara, die überraschend den Nachlass ihrer vor sechzig Jahren spurlos verschwundenen Großmutter erhält. Darin findet sie ein Foto, das auf den möglichen Aufenthaltsort der Großmutter hinweist und darauf, dass diese - für Klara bisher unbekannt - eine Künstlerin war. Gemeinsam mit der Zufallsbekanntschaft Georg, der in eines der Bilder im Museum verliebt ist, in dem Klara arbeitet, macht sie sich auf die Suche nach ihrer Großmutter, die sich zum großen Teil in Japan abspielt. Das Ganze beginnt wie ein realistisch erzählter Familienroman, aber nach und nach mischen sich immer mehr fantastische Elemente in die Erzählung - Zufälle, die keine sein können; Vorbestimmungen, so in der Art. Steinfest hat einen Sprachfluss, der sich gut liest, auch wenn er - bewusst - sehr weit weg von alltäglicher Sprache ist, ausschweifend und ein bisschen mariniert. Das hat viel Sprachwitz, gegen Ende des Buches störte es mich teilweise dann aber doch ein wenig, weil die Pointen in fast jedem Satz sehr gewollt daherkamen. Aber sobald ich mich darauf eingelassen hatte, dass die sich häufenden Zufälle eben nicht schlecht erfundene Zufälle in einer realistischen Geschichte sind, sondern der Beginn einer anderen Erzählart, konnte ich mich gut darauf einlassen. Was ich typisch österreichisch fand: Die Verteidigung jeglicher Süchte durch den Autor - praktisch ständig wird Alkohol getrunken, dessen Auswirkungen ausnahmslos positiv sind; einige Male kommt ein Rant gegen Zigarettenverbote vor. Und lustigerweise macht sich sogar dieser ausländische Autor über die schon sprichwörtliche Unpünktlichkeit der deutschen Bahn lustig: "Selbst ein Nachtzug, der in den Niederlanden startet und bis Wien durchfährt, wird in Deutschland zwangsläufig eine Verspätung einfahren".
Zadie Smith: Swing Time. Zwei junge Mädchen freunden sich über ihre Liebe zum Tanzen an. Beide kommen aus armen Elternhäusern, aber während die Mutter der Ich-Erzählerin sich durch Bildung daraus zu befreien sucht, entspricht die Freundin Tracey und ihre alleinerziehende Mutter dem, was von ihnen erwartet wird: Bling-Blink-Geschmack, drogensüchtiger Vater, der nie da ist, generelle schiefe Bahn. Tracey ist in der Freundschaft der deutlich dominantere und selbstbewusstere Part und behält diese Rolle auch noch, als sich die beiden als junge Frauen aus den Augen verlieren und die Erzählerin nur noch sporadisch etwas über sie hört. Der parallele Erzählstrang ist die Arbeit der Erzählerin als PA einer weltbekannten Sängerin, die, selbst eine weiße Frau, es sich in den Kopf setzt, ein Schulprojekt im Senegal zu gründen, dessen Haupt-Verantwortliche die Schwarze Ich-Erzählerin wird. Ich habe das Buch auf Englisch gelesen, es war sehr spannend und die Themen interessant und lebensnah: Unterschiedliche Blickweisen von Schwarzen und weißen Menschen, die Entwicklung von Freundschaftsbeziehungen, verschiedene Manipulationsmechanismen anderer Menschen. Das klingt recht konfus, wenn ich es hier so aufschreibe; das Buch selbst war aber nicht konfus, sondern gut erzählt und eindringlich.
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