Samstag, 23. Dezember 2023

Psyche und Körper

Diese Nacht war es vorbei mit der himmlischen Ruhe: Der Wind heulte, der Regen prasselte. 

Meine elektrische Zahnbürste meldete morgens Akkunotstand, das Ladegerät ist - wo sonst? - beim Prinzen im Van Norbert. Wird sie noch bis Heiligabend und unserem Wiedersehen durchhalten? Oder werden mir alle Zähne ausfallen? Bleiben Sie dran, es wird spannend.

Beim Frühstück ratschten die N. und ich sehr ausführlich, beschlossen Tagesunternehmungen, spekulierten über das Wetter: Gegen Mittag war Sturm-Apokalypse vorhergesagt, so schlimm sah es noch nicht aus, wenn auch etwas dunkel. Aber: Wetter-Ungemütlichkeiten blieben beherrschendes Thema des Tages, später sollte es noch richtig stark regnen und böen.

Vor dem Ausgehen nahm ich mir Zeit für eine ausführliche Yoga-Einheit. Bewusst eine Einheit mit voller Armbelastung. Fühlte sich gut an, keine Schmerzen. 

Auf dem Weg machte ich als Erstes einen Einkaufsstopp am Schuhladen an der Ecke: Es gab Hausschuhe für mich, die alten beginnen zu bröckeln. Jetzt habe ich neue in petrolblau mit Kautschuksohle. Brachte ich umgehend noch zur N. zurück, denn wir hatten Größeres vor, bei dem ein Schuhkarton gestört hätte.

Erstes Ziel war das Sigmund-Freud-Museum, Vorschlag von mir, weil ich zwar nicht mit Psychoanalyse, aber mit Psychologie im Allgemeinen sehr viel anfangen kann und das Eintauchen in vergangene Lebenswelten eh interessant finde. 
Das war es dann auch. Das Museum umfasst die Räume, in denen Freud und später auch seine Tochter Anna ihre Ordinationen gehabt hatten, sowie ihre Privatwohnung. Die Räume waren von allen Repliken geräumt worden und stellten nur noch das aus, was nach dem Exil der Freuds wieder nach Wien gekommen war - die vielen klaffenden Leerstellen sollen darstellen, welchen brain drain die Nazis verursacht haben. Gelungene Idee, finde ich.

Nach der Psyche sezierten wir den Körper, und zwar drastisch. Der Vorschlag der N. war nämlich das Josephinum, in dem in vielen Sälen lebensgetreue Wachsnachbildungen menschlicher Körper ausgestellt sind, und zwar je nach Abteilung Skelette, Muskeln oder Eingeweide. Die Figuren stammen aus dem 18. Jahrhundert und dienten dem medizinischen Studium des menschlichen Körpers. Ein ganzer Saal war der Geburt gewidmet und allem, was dabei im Uterus schiefgehen kann, und das war schwer zu ertragen, aber genau wie der Rest der Ausstellung auch sehr faszinierend. Körperwelten, einige Jahrhunderte vor von Hagens.

Wien ist zwar eine Großstadt, aber irgendwie ja auch ein Dorf, und weil die N. sich auskennt wie in ihrer Westentasche, mussten wir nie länger als einige hundert Meter durch das unschöne Wetter stapfen. Das war auch gut so, denn mein kleiner Faltschirm, eine Leihgabe der N., hielt den Windböen überhaupt nicht stand. Auch gut waren die restlichen Leihgaben der N.: Eine dicke Jacke mit Kapuze, ein Schal und wasserdichte Stiefel, und wer die N. und mich kennt, wird sich wundern, wie das wohl passen konnte, aber es passte alles. Und verkleidete mich offensichtlich so sehr als Echt-Wienerin, dass ich an der Tram-Haltestelle sogar nach der richtigen Richtung gefragt wurde. 

Als wir wieder in der warmen Wohnung ankamen, wollten wir beide vor allem ruhen, im Warmen, mit Tee und Knabbereien. Als Abendessen kochte die N. uns Proteinbombe: gebratene Sprossen mit Panir und Spiegelei. Und weil wir am nächsten Tag sehr früh würden aufstehen müssen, gab es noch abends Bescherung.

Was bei Kinderspielzeugen die Batterien sind, sind bei Erwachsenenspielzeugen die Gerätekopplungen mit der richtigen App. Und mein Geschenk für die N. gefiel ihr zwar, ließ und ließ sich aber nicht koppeln. Ich bin nur froh, dass ich sie zur Bescherung nicht allein gelassen habe, denn dann wäre sie wahrscheinlich verzweifelt. So verzweifelte nur ich und kann das Geschenk mit leiser Enttäuschung wieder mitnehmen und umtauschen. Trotzdem: Voller und schöner Tag.

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