Montag, 5. August 2024

Mehrtagestour Rennrad: Das nehme ich mit - #WMDEDGT August

Es ist wieder der 5. des Monats, und Frau Brüllen fragt: Was machst du eigentlich den ganzen Tag (WMDEDGT)?   

Ich wache auf und habe immer noch diese schrecklichen, migräneartigen Kopfschmerzen von gestern. Aber bei Tageslicht sind meine Gedanken dazu schon weit weniger schlimm als noch in der Nacht. Ich werde ein Magenschutz-Medikament nehmen und dann eben doch Ibuprofen, das einzige Medikament, das gegen diese Kopfschmerzen bei mir hilft. Eine Stunde nach der Tablette sind die mörderischen Kopfschmerzen tatsächlich weg, Ibuprofen ist bei mir einfach ein Wundermittel (leider mit Nebenwirkungen). Abgesehen von den Kopfschmerzen fühle ich mich nicht krank und werde wohl auf unsere Radtour morgen starten können. Ich erreiche sogar die dermatologische Praxis, bei der ich wegen eines kleinen Ausschlags anrufe, und bekomme zwar keinen Termin, entdecke aber deren Angebot für eine online-Beratung mithilfe von Fotos. Das hilft mir auch schon sehr weiter, also ist auch dieses Problem bei Weitem nicht so schlimm wie es sich nachts anfühlte.  

Neben der medizinischen Aufregung gibt es zwei morgendliche Kaffees. Hm, lecker, die werde ich auf der Reise vermissen, wo ich auf den Hotelkaffee angewiesen sein werde...

Der Aufbruch in den Urlaub morgen liegt in der Luft, und es wird Zeit, dass wir loskommen. Alles ist verpackt oder wartete bereits an unserem Zielort im Van Norbert auf uns, und das macht das Leben zuhause unkomfortabel. Wir schlafen ohne Decken, nur mit den Laken und einer Wolldecke; als Kopfkissen nutzen wir Sofakissen im Kissenüberzug. Ein kurzer Abstecher in den Supermarkt verlangt viel mehr Denkarbeit als sonst: Das Schloss ist nicht mehr am Fahrrad, deswegen muss ich ein anderes einpacken; die Kreditkarte nicht im Geldbeutel, sondern im Rennradgepäck; nicht einmal mein Hausschlüssel ist mehr komplett, da wir ihn aufgeteilt haben in die Schlüssel, die hierbleiben, und die Schlüssel, die wir auf die Reise mitnehmen. Als ich endlich auf dem Rad sitze, merke ich, dass der Sattel noch auf die Freundin des Prinzenneffen eingestellt ist, der ich das Rad vor drei Tagen geliehen habe und die 15 Zentimeter kleiner ist als ich... naja, für die dreiminütige Fahrt in den Supermarkt geht es auch so. Ich bemühe mich sehr, mich von all diesen kleinen Widrigkeiten nicht ärgern zu lassen - nicht mehr jetzt, schließlich sind wir so gut wie im Urlaub.

Ich koche das letzte der vier Gerichte aus dem Speiseplan dieser Woche, und damit sind unsere Vorräte fast aufgebraucht. Falls noch etwas übrig bleibt, was verarbeitet werden muss, vereinbare ich mit der Nachbars-S., dass ich es ihr am Abend vorbeibringen kann. Die Linsen mit grünen Bohnen und Cashew-Dressing sind sensationell lecker, der Prinz und ich schlagen uns die Bäuche voll und erst dann stelle ich fast, dass es noch nicht einmal halb zwölf ist. Das war ein frühes Mittagessen!

Wir haken gemeinsam weiter die Liste mit Dingen ab, die wir noch erledigen wollen, bevor wir in Urlaub fahren. Eine*r von beiden bleibt dabei heute bewusst immer zuhause, denn vor fünf Tagen kam eine eMail mit der Ankündigung, unser neues Terrassensofa werde jetzt in den Niederlanden verladen und käme am Montag, also heute, an. Seitdem haben wir nichts mehr gehört. Heute ein Sofa zu bekommen wäre perfekt, ab morgen sind wir in Urlaub und jede Sofaanlieferung wäre maximal kompliziert. Das Internet ist voll von Geschichten von Leuten, die auf Pakete warten, deswegen hoffe ich auf ein unkompliziertes Ende unseres speziellen Falles ohne launige Nebenschauplätze...

Ich merke schon jetzt, dass es wohl nichts mehr wird mit dem entspannten Ausruhtag, an dem ich nebenbei eine Wohnungs-Grundreinigung einschieben kann, wie ich es gerne direkt vor unseren Fahrten in den Urlaub tue. Ich räume die Spülmaschine aus, ich räume die Spülmaschine ein. Seitdem wir mit den Speiseplänen kochen, gehen wir kaum mehr auswärts essen, und das macht sich auch an der Menge des zu spülenden Geschirrs bemerkbar. Das Vorkochen trägt dazu ebenfalls bei, denn meine neuen Glas-Vorratsbehälter sind im Kühlschrank im Dauereinsatz jedes Mal, wenn die Prep-Komponenten vorgekocht sind. Aus Neugierde prüfe ich nach, wie lange wir das mit den Speiseplänen nun schon machen: Immerhin, dies war bereits die achte Woche in Folge. Wo ich schon im Thema bin, übertrage ich den aktuellen Speiseplan in unser digitales Rezeptsystem. 

Heute ist es wieder sonnig und trocken und regnet nicht mehr wie gestern, außerdem ist es werktags und es darf Lärm gemacht werden, deswegen schleppe ich die 17 Kilo schwere Kapp- und Gärungssäge und den Werkstattsauger auf die Terrasse und säge das zu Brennholz, was von unserem bisherigen Terrassen-Sofa noch übrig ist, einer Konstruktion, die der Prinz vor ungefähr sechs Jahren an einem Nachmittag zusammengezimmert hat, um mir zu beweisen, dass ein so großes Sofa theoretisch auf unserer gar nicht so großen Terrasse gut aussehen würde. Er hat mich damit überzeugt, und der Prototyp blieb ganz praktisch bis jetzt auf der Terrasse stehen, gestern habe ich ihn auseinandergebaut. Wie immer, wenn ich mit Säge oder anderen lauten Geräten draußen hantiere, habe ich ein schlechtes Gewissen wegen aller Nachbar*innen, die vielleicht gerade ausruhen oder schlafen möchten oder einfach ihre Ruhe haben.

Nach nur fünf Stunden erhalte ich eine eMail meiner Hautärztin mit einer Diagnose, einer Behandlungsempfehlung und der Nachricht, dass ich mir ein Rezept dafür in ihrer Praxis abholen kann. Ich finde diesen Service ganz toll und bin sehr viel beruhigter hinsichtlich des Reisestarts trotz Ausschlag, mache mich direkt auf den Weg zu Praxis und Apotheke und kaufe unterwegs noch zwei Packungen Hafermilch ein, damit wir bei der Rückkehr aus dem Urlaub nicht milchlos sind; für zwei Milchkaffeetrinker*innen eine drohende morgendliche Katastrophe.

Allmählich liegen auf dem Esszimmertisch nur noch Dinge, die morgen in die Packtaschen sollen und mit auf die Reise müssen. Alles andere ist verräumt. Mein aktuelles Buch liegt da auch noch, es fehlen zwei Kapitel, dann habe ich es ausgelesen. Ich würde diese Kapitel gerne noch schaffen, denn natürlich kann ich kein Buch mit auf eine Rennradreise nehmen und wenn ich Ende August wieder heimkomme, habe ich wahrscheinlich den Anschluss verloren. Deswegen lese ich ein Kapitel, breche dann aber ab, um eine Runde Krafttraining zu machen. Das tut sehr gut. Es hat mir gefehlt, dass ich wochenlang wegen meines Fahrradsturzes und den nachfolgenden Schmerzen in der geprellten Schulter kein Krafttraining machen konnte. Zum Aufwärmen probiere ich diesmal eine Einheit Yoga aus und wähle eine ganz frühe Folge von Mady. Die Flows sind darin noch recht klassisch - Downward facing dog, Vinyasa, Krieger etc. -, aber ansonsten ist das Video verblüffend ähnlich wie ihre aktuellen. Nur macht sie darin noch nicht dieses Kichern, das wohl aufmunternd wirken soll und mich aber eher nervt. 

Krafttraining dauert alles in allem eine ganze Stunde, danach putze ich die Spiegelwand im Tobezimmer. Auf der ist immer noch ein Handabdruck von Mini-C. zu sehen, die hier vor Ewigkeiten zu Besuch war - so lange wurde sie nicht mehr geputzt. Ich denke an diesen Spruch, irgendetwas sei ein "Fliegenschiss" - bedeutet das nicht, etwas sei sehr klein und unbedeutend? Die Person, die ihn erfunden hat, hat wohl noch nie einen Spiegel geputzt, auf den die Fliegen gern mal scheißen. Das ist irgendwann echt nicht mehr unbedeutend. 

Um 18 Uhr ist das Sofa immer noch nicht geliefert worden und wir bekommen keinerlei Status-Updates. Eine Telefonnummer, die wir kontaktieren könnten, gibt es auch nicht. Dafür sind die Medikamente da, die die Apotheke nach meinem Rezept bestellt hatte. Heute hat das Gesundheitssystem mal wirklich gut funktioniert - und das ausgerechnet bei einem Hautproblem, das sonst immer ewige Wartezeiten bedeutet hat. Ich schreibe eine Nachricht in die Nachbarschaftsgruppe mit vorwegnehmender Entschuldigung, falls das Sofa während unseres Urlaubs geliefert und im Treppenflur herumstehen sollte. Ich hätte es so gerne noch gesehen, bevor wir aufbrechen!

Allmählich wird es Abend, und der Prinz und ich packen ein letztes Mal unsere Zigarren und prüfen die Packlisten. Jetzt gilt es - die Räder bleiben so stehen und morgen nach dem Frühstück geht es los. Ich stelle den Saugbert an und stelle zufrieden fest, dass wir die Wohnung zwar nicht grundgereinigt, aber trotzdem ziemlich gut aufgeräumt und ein paar Putzaktionen außer der Reihe erledigt haben. Das letzte Kapitel in meinem Buch möchte ich noch lesen, deswegen sinke ich aufs Sofa und bemühe mich, die Augen offen zu halten, obwohl ich schlagartig sehr müde bin. Nach ein paar Seiten bin ich mir aber fast sicher, dass ich das nicht mehr schaffen werde...

 

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Gelesen: 
 
Caroline Wahl: 22 Bahnen. Die Mathematik-Studentin Tilda wohnt mir ihrer 10-jährigen Schwester und ihrer alkoholkranken Mutter zusammen in einer Kleinstadt. Um ihr gemeinsames Leben zu finanzieren, jobbt sie an einer Supermarktkasse. Ihr Hobby ist Schwimmen, und im Schwimmbad trifft sie auch einen Bekannten aus Schulzeiten wieder, mit dem sich eine vorsichtige Liebesgeschichte entwickelt. Eine der Grundprämissen des Romans ist, dass Tilda im Gegensatz zu allen ihren Freund*innen in einem armen Haushalt aufwächst und sich mit Überlebensproblemen herumschlagen muss, anstatt sich teenagermäßig selbst zu finden wie die anderen. Schon nach wenigen Seiten fragte ich mich, wie sie sich dann eigentlich den täglichen Eintritt ins Schwimmbad leisten kann - der ist ja nämlich nicht billig. Mir fiel die Rezension der Kaltmamsell zu genau diesem Thema ein, dass nämlich der Aspekt der ständigen Geldnot in der Geschichte irgendwie gar keine Rolle spielt, obwohl Tilda offensichtlich mit ihrem Supermarktgehalt (und vermutlich Hartz-IV?) die dreiköpfige Familie ernährt. Die Armut der Familie wird eher erzählt als erlebbar geschildert und der Roman bekommt dadurch einen Beigeschmack von Armuts-Porn. Mir ist schon klar, dass ohne diese Rahmenhandlung die Geschichte eine sehr viel langweiligere Coming-of-Age-Geschichte wäre, es störte mich aber trotzdem, dass der wichtige Aspekt, wie diese drei finanziell eigentlich über die Runden kommen, gar nicht ausgeführt wird. Und was mir im Laufe des Buches auch immer mehr Kopfschütteln verursachte, ist die stets und ausnahmslos liebevolle Beziehung von Tilda zu ihrer kleinen Schwester. Immer geht ihr das Herz auf, wenn sie sie sieht oder sie ist zutiefst gerührt, wenn sich die Schwester mit anderen Menschen schwertut. Die 10-Jährige ist auch jederzeit liebenswert verschroben, nie einfach nur nervig und aufsässig, wie 10-Jährige in meiner Welt eben auch oft sind. Und Tilda ist auch nie genervt von ihr. Nicht mal, als die Liebesgeschichte mit Viktor beginnt, der die Kleine ebenfalls von Anfang an wie ein Vater mit in der Beziehung akzeptiert. Immer nur Liebe und "wir zwei -", später "wir drei gegen den Rest der Welt".
So, und trotzdem liest sich das Buch gut und die Person Tilda ist gut nachvollziehbar gezeichnet, Wahl hat eine originelle Sprache für ihre Geschichte gefunden. Ich fand auch das Verhalten der Alkoholikerin-Mutter gut beschrieben, auch wenn sie eher am Rand des Ganzen bleibt. Das war mir aber ganz recht, da mich Suchtbeschreibungen meistens ziemlich mitnehmen und sie in diesem Buch gerade noch in erträglichem Maße stattfindet. Zurück bleibt das Gefühl: Eine gute, leichte Sommerlektüre, die sehr an der Oberfläche des Themas bleibt, das sie vorgibt zu behandeln.

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