Dienstag, 6. August 2024

Etappe 1: Bis Dillingen

Heute war es also so weit: Wir sind auf die Fahrradtour gestartet, die wir seit Monaten planen und für die wir viel auf dem Rennrad trainiert haben. Der Wecker klingelte um 6:30 Uhr, ich war schnell wach und machte uns einen Kaffee. Der Kaminkehrer kam wie angekündigt um kurz nach sieben, blieb für ein kurzes Schwätzchen und dann stand unserem Aufbruch nichts mehr im Weg. Wir konnten sogar den früheren Zug nehmen, weil die Räder fix und fertig gepackt und der Prinz und ich schnell aufbruchsbereit waren.
Der Sinnspruch im Flow-Kalender passte auch :-) Wenn ich schon kein Instagram nutze, muss ich mir meine Lebensweisheiten eben woanders holen.

Um 9 hatten wir den V. aufgegabelt und schmissen die Navis und Uhren an. Und los ging es! Wetter: bestens, Landschaft: die ersten 40 Kilometer vertraut schön. In Wolframs-Eschenbach machten wir eine erste Pause, das hatte ich mir erbeten, weil ich den Ort einmal sehen wollte; es ist ein schnuckeliges, mittelalterliches Örtchen mit viel Kopfsteinpflaster, Farbe an den Häusern und gepflegten öffentlichen Anlagen. Sehr schön, ebenso das nah gelegene Naherholungsgebiet am Altmühlsee - selbst an einem Dienstagvormittag waren dort heute Menschen unterwegs zum Radeln, Wandern, Baden. 

Wo wir Mittag machten, war das dann nicht mehr so. Wir mussten in Wassertrüdingen sogar richtig lange suchen, bis wir ein geöffnetes Restaurant fanden. Es hatten nicht nur die Restaurants, sondern gefühlt alles zu. Einzige Option schien ein griechisches Restaurant zu sein, das zwar einen schönen Biergarten hatte, aber eine typisch griechische Speisekarte: Fleisch mit Fleischbeilage. Nur ein paar vegetarische Vorspeisen fanden der Prinz und ich, der V. schloss sich an, und das, was vom Hunger übrig blieb, stillten wir mit Pommes. 

Da war ich bereits ziemlich müde, überhaupt kam ich heute nicht so richtig in die Gänge, verwunderlich eigentlich, denn ich hatte gut geschlafen und mich energiegeladen gefühlt am Morgen. Aber auf dem Rad tat mir bald der Nacken weh, der Handschuh grub sich in die Fingerfalte und später drückte noch ein großer Zeh. Naja, kannste dir nicht aussuchen, solche Tage gibt es auch, fuhr ich eben stur hinterher und erfreute mich an den vielen Blumenwiesen, an denen wir vorbeikommen, inklusive Schmetterlingen.

Apropos stur: Ein Ort, durch den wir kamen, war komplett Baustelle, irgendwas wurde an der Straße gemacht, und als der V. sein Rad packte und am Bagger vorbei mitten durch die Baustelle marschierte, liefen der Prinz und ich wie zwei Schulkinder hinterher, ohne weiter nachzudenken. Das brachte uns allen einen ordentlichen Anschiss von dem Bauarbeiter ein, der uns auf der anderen Seite erwischte. Etwas bedröppelt schoben wir weiter, bis es endlich wieder fahrbare Straße gab.

Dir Ortsnamen wurden schwäbischer und schwäbischer, die wenigen Orte, durch die wir kamen, waren klein und auffällig verschlafen. Dagegen ist unsere Kleinstadt eine richtige Partystadt. Die letzten Kilometer bis Dillingen gingen über eine Bergschaukel: Hoch-runter-bisschen hoch-runter-usw. Das machte mir großen Spaß. 

Das Hotel, in dem wir heute nächtigen, hat den Charme einer Handwerkerpension, aber eben auch einen solchen Preis; die Betten sind sauber und bequem und wir hatten das große Glück, Zimmer zur straßenabgewandten Seite zu bekommen. Dass es keine Tezeption, sondern nur einen Schlüsselsafe gab, kam uns entgegen, denn so mussten wir gar nicht wegen der Fahrräder diskutieren, sondern konnten sie einfach auf die Zimmer tragen. Ich wette, die meisten Rennräder sind eh sauberer und gepflegter als jeder Koffer, aber das wissen eben nicht alle Rezeptionist*innen.

Für fas Abendessen fanden wir einen schnuckeligen kleinen Italiener mit guter Pizza. Aber dass die Sonne selbst auf dem Heimweg noch so heiß schien, dass ich schier verging vor Hitze, das hätte echt nicht sein müssen. Morgen bitte etwas weniger.

 ***

Gelesen:

Oh ja, ich habe mein Buch nach einem kleinen Nickerchen gestern doch noch fertig gelesen bekommen.

Fatha Aydemir: Dschinns. Der Türke Hüseyin, der vor Jahrzehnten nach Deutschland ausgewandert ist und dort so lange gearbeitet und gespart hat, bis er sich in Istanbul eine Eigentumswohnung leisten konnte, stirbt in eben dieser Wohnung an einem Herzinfarkt an dem Tag, an dem er sie beziehen wollte. Seine Frau und seine vier erwachsenen oder halberwachsenen Kinder reisen einzeln aus Deutschland aus den Orten, in denen sie jetzt leben, zu seiner Beerdigung an, denn Muslime müssen am Tag oder Folgetag ihres Todes begraben werden - deswegen kann Hüseyin nicht nach Deutschland überführt werden. Außer seiner Frau Emine und der ältesten Tochter Sevda hat keines der Familienmitglieder einen Bezug zur Türkei. In jeweils einem Kapitel wird die Anreise aus Sicht eines der Familienmitglieder erzählt, mit Rückblicken und Gedanken zur Familie und zum Vater bzw. Ehemann. Eigentlich ist dieses Buch ähnlich aufgebaut wie "Quasi-Kristalle" von Eva Menasse, das ich gerade erst gelesen habe: Eine Person setzt sich zusammen aus den Bruchstücken, die die Sichtweisen anderer Personen auf sie sind. Erst durch die sechs verschiedenen Blickwinkel (Hüseyin selbst erzählt auch ein Kapitel) erschließt sich die Familie und die vielen ungesagten Themen, die ihre Beziehung untereinander so schwer machen. Ich hätte mir zu jeder Person vorstellen können, noch viel mehr zu lesen, denn sie sind alle interessant und alle unterschiedlich. Der Reiz des Buches liegt aber gerade in der Vielfalt dieser Personen, und das letzte Kapitel der Mutter Emine schließt den Bogen der Geschichte sehr schön. Kein Gute-Laune-Buch, sondern macht eher nachdenklich. Ich habe es gerne gelesen.

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