Morgendialog: Sie: "Ich glaube, ich werde heute die Rennradsaison eröffnen. Schade, dass niemand Zeit hat mitzufahren."
Er: "Ich mag es nicht, wenn du alleine Rennrad fährst."
Sie: "Was soll schon passieren? Selbst wenn ich stürze, ist die Gegend doch so befahren, dass mich früher oder später jemand findet und den Krankenwagen rufen kann."
Er: "Das beruhigt mich jetzt gar nicht."
Ich bin sehr happy darüber, dass ich inzwischen so im Rennradsport angekommen bin, dass ich relativ entspannt spontan eine Tour starten kann, da war ich letztes Jahr noch aufgeregter. Und wie schön, dass ich sogar schon eine klassische Saison-Eröffnungsrunde habe, die an einem der ersten schönen Tage des Jahres gefahren wird (und zwar genau so und nicht anders!) und auf der ich an so vielen vertrauten Stellen vorbeikomme:
- Die Wirtschaft, wo mich meine Radkollegen mal auf eine Fanta eingeladen haben/einladen mussten, als ich noch mit meinem voll ausgestatteten Tourenrad, der Lady, mitgefahren bin und viel zu wenig Flüssigkeit dabei hatte, aber auch kein Bargeld, sondern nur eine Kreditkarte. Auf dem Land in Mittelfranken bargeldlos zahlen wollen: immer noch ein schwieriges Unterfangen.
- Das Feuerwehrhaus, wo ich mal mit B., dem Poeten, eine Pause in der schönsten Sonne machte und wo der Energieriegel so gut schmeckte wie vorher und nachher nie wieder.
- Die eine tolle Abfahrt, die eigentlich nur zu dieser Jahreszeit Full Speed gefahren werden kann, denn sobald die Bäume Blätter bekommen, macht das Schattenspiel auf der Straße es fast unmöglich, den Löchern und Hubbeln auszuweichen.
- Der Hügel in Markt Erlbach, der mir mit seinen 12 % schon das ein oder andere Mal den Saft aus den Beinen gezogen hat, obwohl er so kurz ist, dass komoot ihn nicht einmal als Steigung wertet...
Die ersten 12 Zieh-Kilometer überbrückte ich heute mit der Bahn, in der zwei Trachtenpunks mitfuhren, deren Crossover-Style ich sehr witzig und gelungen fand: Sie mit grünem Iro, er mit streng zurückgebundenem Pferdeschwanz, beide mit scharfem Undercut und dazu Lodenjanker (er) und dicke gestrickte Wadenstrümpfe mit Zopfmuster (sie). An meinem Zielbahnhof stieg ich aus, ließ die letzten Häuser hinter mir, und als sich vor mir das Cadolzburger Land öffnete, überkam mich eine so große Woge des Angekommenseins, dass ich ganz überwältigt war. Diese charakteristische Landschaft mit ihren kleinteiligen Feldern, abwechselnd frisch-grün, rapsgelb und ackerbraun, am Horizont die sanften Berghügel mit einem Borstenkranz aus Laubwald, dazwischen immer wieder ein einzelner spitzer Kirchturm oder ein majestätisches Windrad: Ich fühle mich inzwischen so richtig zuhause hier. Das hatte ich bisher nur beim Landeanflug auf Madrid beim ersten Blick auf die Torres Kio und die anderen Türme der Plaza Castilla.
Nach meinen ersten fünf Kilometern kam die Sonne raus und es wurde eine Traumtour zum Saisonauftakt. Sogar der Markt-Erlbach-Berg ließ sich heute einigermaßen gut bezwingen, aber sobald ich auf der Kuppe ankam, zog ich mir meinen ersten Energieriegel rein (immer Corny Nussvoll, der ist nicht ganz so ultrasüß und ich vertrage ihn gut).Beim Fotomachen hörte ich neben mir einen kleinen Bach glucksen, daneben blühten schon Gänseblümchen und Schneeglöckchen. Ich liebe den Frühling! (Und alle anderen Jahreszeiten eigentlich auch, aber den Frühling und den Herbst schon ganz besonders). Noch schön: Die einsame Läuferin, die mir entgegenkam; die kleine Kutsche mit einem Pony vornedran; die Pilz(?)sucherin im Wald, die selbstvergessen durch die Sonnenflecken streifte.
Es ist schon ein Glück, dass ich mir beim Sport so zuverlässig meine Kicks abholen kann. Sei es beim Rennradfahren, beim Laufen oder beim Klettern: Mit ziemlicher Sicherheit kommt früher oder später ein Runners High und Endorphine durchströmen den Körper. Dabei bin ich mir bewusst, wie privilegiert meine Situation ist, dass ich mir ein Rennrad und die ganzen Gadgets drumherum leisten kann, dass ich spontan bei schönem Wetter drei Stunden radeln gehen kann, ohne die Zeit Kindern oder anderen von mir abhängigen Personen wegzunehmen. Und natürlich, dass ich einen Partner habe, dem alles Spaß macht, was mir Spaß macht, und der sich, wenn er sich für eine andere Tagesgestaltung entscheidet, mit mir mitfreut und nicht beleidigt ist.
Vorgehabt hatte ich eine lockere Ausfahrt, aber am Ende konnte ich noch richtig Gas geben und fuhr mich wie in einen Rausch, ohne Rücksicht auf Verluste, auf den Kletterkörper morgen oder den sich schon anbahnenden Muskelkater. Erst auf den allerletzten Kilometern ebbte der ab, und das merkte ich vor allem daran, dass mich das Gepiepse meiner Uhr immer mehr nervte. An und für sich ist es ja eine gute Idee, dass eine Tracking-Uhr akustische Signale gibt, damit ich den Blick nicht von der Straße nehmen muss. Da ich aber keinen Schimmer habe, was sie mir mit den Piepsern sagen will, irritieren sie mich nur. Heute waren düt, dü-dü-dü-dü und düdelüt abwechselnd dran, und zwar im Rhythmus von ca. jeder Minute. Ich hoffe, ich kann das vor der nächsten Ausfahrt abstellen.
Ich hatte den Eindruck, dass diese Spagat-Übungen, die ich seit zehn Tagen mache, eine ziemlich gute Vorbereitung für das Radfahren waren. Die sind nämlich zu zwei Dritteln Dehnung von Hüften und Oberschenkeln, aber zu einem Drittel auch Training der Oberschenkelmuskulatur 😁
Wäre ich nicht mit der Nachbarin auf einen Kaffee verabredet gewesen, hätte ich mich nach dem Radfahren ziemlich sicher schlafen gelegt. So genossen sie und ich aber zusammen noch die schöne Nachmittags- und dann Abendsonne, tranken einen Kaffee im sehr schönen Café Dreizehn und drehten danach noch eine Runde durch den Park, während sie mir von vergangenen und zukünftigen Traumreisen erzählte und mein Anteil der Konversation darin bestand, dass ich es immerhin schaffte, die Augen offenzuhalten.
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